AMD: Die Zukunft liegt in einer indi­vi­du­a­li­sier­ten Therapie

Inwiefern hat die multimodale Bildgebung (verschiedene bildgebende Verfahren) das Verständnis für die patho­phy­sio­lo­gi­schen Abläufe bei der Entstehung und Entwicklung der AMD verbessert?

Prof. Dr. Peter Szurman: AMD ist nicht gleich AMD. Wir wissen inzwischen sehr viel über die verschiedenen Subtypen, die zu dif­fe­ren­zie­ren wichtig sind. Die multimodale Bildgebung erlaubt uns diagnostisch aus verschiedenen Blickwinkeln auf die AMD zu schauen und sie besser zu cha­rak­te­ri­sie­ren. So erhalten wir Zusatz­in­for­ma­ti­o­nen, die uns eine genauere Beurteilung des Subtyps und der Patho­phy­sio­lo­gie erlauben, was dann auch prognostisch relevant ist.

Ein gutes Beispiel ist die Dif­fe­ren­zie­rung von Drusen (Ablagerungen unterhalb der Netzhaut). Mit der multimodalen Bildgebung können wir retikuläre Pseudodrusen (netzartige Drusen) von normalen Drusen unterscheiden. Das ist wichtig, denn retikuläre Pseudodrusen haben ein höheres Risiko für die Ausbildung z.B. einer geo­gra­phi­schen Atrophie (GA, Spätform der trockenen AMD) und für die Entwicklung einer Choroidalen Neo­vas­ku­la­ri­sa­tion (CNV, feuchte AMD).

Ein anderes Beispiel ist die Dif­fe­ren­zie­rung einer Pig­men­te­pi­thelab­he­bung (PEA). Die Flu­o­res­zenzan­gio­gra­phie bei PEA bleibt häufig unklar, vor allem was die Größe und die Grenzen der PEA betrifft. Umgekehrt ist die alleinige Optische Kohärenz-Tomografie (OCT) oft unklar, weil nicht sicher differenziert werden kann zwischen seröser (mit Flüs­sig­keits­austre­tung) und vas­ku­la­ri­sier­ter (gut durchblutetet) PEA. Hier helfen mehrere unter­schied­liche Dia­gno­se­ver­fah­ren sehr.

Welche Rolle spielt das Kom­ple­ment­sys­tem bei der Entstehung einer AMD?

Die Bedeutung eines dys­re­gu­lier­ten Kom­ple­ment­sys­tems beim Fortschreiten der AMD ist inzwischen unbestritten. Ein dys­re­gu­lier­tes Kom­ple­ment­sys­tem ist jedoch nicht alleiniger Auslöser der GA, aber aggressiv verlaufende Phänotypen sind mit Komplement-Poly­mor­phis­men (dem Auftreten mehrerer Genvarianten) assoziiert. Die AMD wird hierdurch in einem inflam­ma­to­ri­schen, ent­zünd­li­chen Erscheinungs­bild (Phänotyp) umgewandelt, der den neu­ro­de­ge­ne­ra­ti­ven Prozess und insbesondere das GA-Wachstum beschleunigt. Die Bedeutung des Kom­ple­ment­sys­tems zeigt sich auch bei anderen Risi­ko­fak­to­ren für die trockene AMD, z.B. aktiviert Rauchen das Kom­ple­ment­sys­tem. Dies zeigt die zentrale Bedeutung der ent­zünd­li­chen Kom­ple­ment­kas­kade für die trockene AMD und der geo­gra­phi­schen Atrophie als Spätform.

In diese Kaskade greifen die neuartigen Kom­ple­ment­fak­tor-Hemmer ein, die die Aktivierung von Ent­zün­dungs­me­di­a­to­ren und die Bildung von Mem­bran­an­griffs­kom­ple­xen (MAC) verringern sollen. Dieser Wir­kungs­me­cha­nis­mus könnte mög­li­cher­weise die Degeneration von retinalen Pig­men­te­pi­thel­zel­len (RPE) und Pho­to­re­zep­to­ren deutlich verlangsamen, was die potenzielle the­ra­peu­ti­sche Grundlage bei der trockenen AMD darstellt.

Am Kom­ple­ment­sys­tem setzen die beiden Wirkstoffe Pegcetacoplan und Avacincaptad an, zu denen gerade Studien laufen. Sie sollen als erste Therapien für geographische Atrophie zum Einsatz kommen. Was ist hier der aktuelle Stand?

Pegcetacoplan von Apellis steht in den USA mög­li­cher­weise kurz vor der Zulassung. Die amerikanische Zulas­sungs­be­hörde FDA hat sogar einem beschleunigen Verfahren zugestimmt, was dafürspricht, dass die Datenlage in Bezug auf die Wirksamkeit als aus­sichts­reich gewertet wird. Es handelt sich um einen C3-Inhibitor. Nach den bisher publizierten Daten ist zwar nicht von einer revo­lu­ti­o­nären Wirkung auszugehen, das Medikament erscheint aber insbesondere spannend für Patienten mit einer sogenannten fovealen Aussparung. Dabei wird der Abbau der Stelle des schärfsten Sehens (Fovea) zunächst im Dege­ne­ra­ti­ons­pro­zess ausgespart, die Fovea selbst ist dann oft erst im Spätstadium vollständig von der trockenen AMD erfasst. Diese Patienten profitieren 2-3 mal so viel wie andere Subgruppen.

Avacincaptad (Zimura) ist dagegen ein C5-Inhibitor, wirkt also weiter unten in der Kom­ple­ment­kas­kade. Hierzu sind weniger Daten bekannt. Die Phase III Studie wurde vor wenigen Wochen erfolgreich abgeschlossen, aber die Daten noch nicht bei der FDA eingereicht, so dass noch keine abschlie­ßende Bewertung vorliegt. Nach den vorläufigen Daten könnte Avacincaptad etwas besser wirksam sein als Pegcetacoplan, wenngleich die Ein­schluss­kri­te­rien der jeweiligen Studien nicht vergleichbar waren. Für Avacincaptad ist in Zukunft ein Port Delivery System (permanentes, nach­füll­ba­res Augen­im­plan­tat) für eine langfristige kontrollierte Freisetzung geplant. Dies ist gerade für Medikamente gegen die trockene AMD wichtig. Denn wir können unseren Patienten keine Verbesserung, sondern nur eine Verlangsamung der Progression in Aussicht stellen. Deshalb müssen wir von einer geringeren The­ra­pie­ad­hä­renz (Einhaltung des Behand­lungs­plans) der Patienten ausgehen als bei der anti-VEGF Therapie, die den The­ra­pie­er­folg für den Patienten spürbarer macht und sie für häufige IVOMs (Spritzen in den Glaskörper) besser motiviert.

Für uns Kliniker ist wichtig zu wissen, dass beide Medikamente eine CNV-Entwicklung (feuchte AMD) befördern können. Diese spricht immerhin auf eine anti-VEGF-Therapie an. Auch andere Beobachtungen deuten darauf hin, dass alles mit allem verknüpft ist.

Wie sieht es mit Gentherapien bei AMD aus?

Anders als bei erblichen Netz­haut­erkrankungen ist die Gentherapie der AMD schwieriger. Denn die AMD ist keine mono­ge­ne­ti­sche Erkrankung. Es ist wichtig zu verstehen, dass bestimmte, rasch fort­s­chrei­tende Phänotypen der Geo­gra­phi­schen Atrophie (GA) zwar mit einem Komplement-Poly­mor­phis­mus (dem Auftreten von Genvarianten), aber nicht mit einer eindeutigen genetischen Abweichung (Deviation) assoziiert sind. Das erschwert auch einen ziel­ge­rich­te­ten Ansatz für eine Gentherapie. Für bestimmte Subtypen der AMD gibt es jedoch mehrere genthe­ra­peu­ti­sche Ansätze:

Zur Behandlung der GA bei trockener AMD wird derzeit in der Gyroscope-Studie die subretinale Gentherapie mit dem Kom­ple­ment­fak­tor I (CFI)-Gen untersucht. Dabei werden nur solche Patienten ein­ge­schlos­sen, bei denen eine seltene Deviation des CFI Gens vorliegt. Tatsächlich führt die subretinale Injektion des Vektors bei der Mehrheit der Patienten zu einem nachhaltigen Anstieg des Levels von CFI im Glaskörper sowie zu einem Rückgang der nach­ge­schal­te­ten Kom­ple­ment­pro­te­ine, die mit einer Überak­ti­vie­rung des Kom­ple­ment­sys­tems in Verbindung gebracht werden. Allerdings hat die Gyroscope-Studie auch gezeigt, dass die erwartete Häufigkeit der CFI-Deviation von 2-3% aller GA-Patienten wohl zu optimistisch geschätzt war.

Auch zur Behandlung der neo­vas­ku­lä­ren AMD ("feuchte" AMD) gibt es genthe­ra­peu­ti­sche Ansätze: Derzeit befinden sich zwei Gen­the­ra­peu­tika in der klinischen Erprobung. Diese werden mittels modifizierter AAV-Vektoren - also Adeno-assoziierten Viren - injiziert und kodieren für Proteine, die etablierten anti-VEGF Antikörpern sehr ähnlich sind. ADVM-022 (Adverum Bio­tech­no­lo­gies) produziert Aflibercept nach einer intra­vi­tre­a­len Injektion, und RGX-314 (Regenxbio) produziert Ranibizumab nach subretinaler oder supra­cho­ro­i­da­ler (unter der Netzhaut bzw. über der Aderhaut) Verabreichung.

Dieser Ansatz zielt also auf die Etablierung einer intra­zel­lu­lä­ren Biofabrik, damit retinale Zellen ihren anti-neo­vas­ku­lä­ren Wirkstoff selbst produzieren und somit eine dauerhafte VEGF-Inhibition erreichen. Beide Gen­the­ra­peu­tika konnten erfolgreich Phase 1-Studien der FDA durchlaufen und befinden sich in den USA derzeit in aktiv rekru­tie­ren­den klinischen Phase 2 -Studien.

Brolucizumab ist in Deutschland seit März 2020 zugelassen. Was bedeutet das für die Therapie der neo­vas­ku­lä­ren AMD?

Brolucizumab ist ein aus­sichts­reiches Medikament vorwiegend für die Behandlung the­ra­pie­re­frak­tä­rer Patienten. In unserem Makulazentrum gibt es tatsächlich einige sogenannte Low-Responder (reagieren nicht ausreichend auf angewandte Therapie), die nach einem Wechsel auf Brolucizumab sehr gut eingestellt sind, so dass die Makula nach langer Zeit wieder vollständig trocken ist. Es erlaubt auch ein längeres Dosie­rungs­in­ter­vall. Männer haben dabei einen Vorteil um den Faktor 2-3 gegenüber Frauen. Der limitierende Faktor sind seltene schwere Neben­wir­kun­gen wie intraokulare Entzündungen und Gefäß­ver­schlüsse, die vielfach beschrieben sind und die auch wir in unserem Makulazentrum sehen. Ursächlich für die throm­boe­m­bo­li­schen Ereignisse ist eine immunologisch-getriggerte Throm­bo­zy­ten­ag­gre­ga­tion. Deshalb wirken Throm­bo­zy­ten­ag­gre­ga­tionshemmer vermutlich protektiv, wobei die Evidenz (nach­ge­wie­se­ner Zusammenhang) noch dürftig ist.

Bezüglich des Risikos muss man dif­fe­ren­zie­ren. Das Risiko betrifft vorwiegend Frauen, und vorwiegend solche, bei denen Brolucizumab in kurzen Abständen gegeben wurde. Deshalb sollte auch das Behand­lungs­in­ter­vall länger gewählt werden.

Der ideale Patient ist männlich, nimmt bereits einen Gerin­nungs­hem­mer, und wurden längere Zeit mit einem anderen Medikament vorbehandelt, das nicht mehr ausreichend wirkt und per­sis­tie­rende intraretinale Flüssigkeit aufweist. Hier ist eine Umstellung auf eine sparsame Brolucizumab-Therapie mit 2-3 monatigen Behand­lungs­in­ter­vallen möglich und kann für Non-Responder segensreich sein.

Generell ist das Konzept eines verlängerten Dosie­rungs­in­ter­valls die Zukunft, denn die The­ra­pie­ad­hä­renz, also die Mitarbeit der Patienten bzw. Therapietreue, steigt, wenn die Patienten zwischen den Behandlungen auch längere Ruhephasen haben.

Hier ist Faricimab (Roche) ein weiterer aus­sichts­reicher Kandidat. Es handelt sich um einen biphasischen Antikörper, der über VEGF und Angiopoietin-2 auf zwei verschiedene Signalwege abzielt. Die Phase III Studie zeigte, dass Faricimab bei gutem Sicher­heits­pro­fil die Behand­lungs­last für Patienten mit neo­vas­ku­lä­rer AMD bei gleicher Wirksamkeit signifikant reduzieren kann: Etwa 70% aller Stu­di­en­pa­ti­en­ten kam mit einem 12 oder 16-wöchigen Rhythmus aus, nur ca. 30% benötigten einen 8-wöchigen Rhythmus.

Es ist also erstmals möglich das Behand­lungs­in­ter­vall bei einem Großteil der Patienten auf bis vier Monate auszudehnen, bei gleicher Wirksamkeit und Sicherheit im Vergleich zu bisherigen Stan­dard­the­ra­pien mit deutlich höherer Behand­lungs­last. Das hat das Potential sich langfristig durchzusetzen. In den USA wurde Farizimab bereits über 150.000-mal injiziert, ohne dass Sicher­heits­be­den­ken in der Real Life Anwendung (bei der Anwendung außerhalb von Studien) aufkamen. Die europäische Zulassung der EMA wurde soeben erteilt.

Die Augenklinik Sulzbach beteiligt sich auch an der PDS Velodrome Studie zum Port Delivery System mit Ranibizumab. Wie sind Ihre Erfahrungen mit diesem System?

Die neovaskuläre AMD ist eine chronische Erkrankung, die langfristig eine intensive Behandlung mit hoher Injek­ti­ons­fre­quenz erforderlich macht. Dies führt zu einer hohen Behand­lungs­last für Patienten und Angehörige. Pati­en­ten­kar­rie­ren mit 50, 70 und sogar 100 Injektionen sind heute keine Seltenheit, und der Wunsch nach länger wirksamen Alternativen entsprechend groß.

Hier setzt das Port-Delivery-System (PDS) an, ein permanentes, nach­füll­ba­res Augen­im­plan­tat, das in das Auge eingebracht wird und kon­ti­nu­ier­lich Ranibizumab in das Auge abgibt. Es wird in festen 24 oder 36-wöchigen Abständen mit Ranibizumab 100 mg/ml nachgefüllt.

In der Phase IIIa-Studie führte das PDS-Implantat zu 5-mal weniger Ranibizumab-Behandlungen und hatte zudem ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil. Das Konzept zur Reduktion der Behand­lungs­last durch verlängerte Behand­lungs­in­ter­valle scheint aufzugehen: Die Patienten­zu­frieden­heit mit PDS war in der Studie mit 90% sehr hoch.

In Deutschland wurde der Start der Phase IIIb-Studie aus regu­la­to­ri­schen Gründen verschoben. Aber die vorbereitende Studien-Rekrutierung läuft bereits.

Was bedeutet das für die Zukunft?

Diese Beispiele zeigen sehr gut, dass die Zukunft der AMD-Behandlung in einer indi­vi­du­a­li­sier­ten Therapie liegt, die für Dutzende von Subgruppen jeweils spezifische Therapie­ansätze bereithält. Diese Verlagerung - weg von einem Medikament, hin zur ziel­ge­rich­te­ten, indi­vi­du­a­li­sier­ten Therapie - ist für unsere Patienten eine gute Nachricht, wird für uns Augenärzte jedoch mehr Aufwand bedeuten. Dieser ist es jedoch Wert, weil die Behand­lungs­last für unsere Patienten geringer und der the­ra­peu­ti­sche Nutzen ziel­ge­rich­te­ter sein wird.

Den voll­stän­di­gen Bericht finden Sie hier

Quelle: Redaktion PRO RETINA News

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