Moderne Diagnostik für erfolgreiche Therapien

Augenärzte fordern: Mehr bildgebende Verfahren in den EBM

Auf bildgebende diagnostische Verfahren setzen Augenärzte bei der Versorgung ihrer Patienten schon lange. Sie fotografieren den Augen­hin­ter­grund, um krankhafte Ver­än­de­run­gen zu dokumentieren, sie machen mittels optischer Kohärenz­tomografie (OCT) hoch­auf­lö­sende Schichtbilder der Netzhaut, und sie nutzen noch etliche andere Verfahren, die helfen, krankhafte Prozesse zu erkennen und zu verstehen. Im gerade beginnenden Jahrzehnt gewinnen diese Verfahren im Kontext der sogenannten künstlichen Intelligenz an Bedeutung. Auch wenn die Algorithmen, die nun für die Auswertung der Bilder eingesetzt werden, von wirklich "künstlicher Intelligenz" noch weit entfernt sind, werden diese Entwicklungen immer wichtiger: Auto­ma­ti­sierte Verfahren unterstützen die Augenärzte bei der Beurteilung der einzelnen Bilder.

Honorarsystem verharrt auf dem Stand der 1990er Jahre

Das Honorarsystem in der gesetzlichen Kran­ken­ver­si­che­rung in Deutschland ist jedoch noch weit entfernt davon, diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Der Einheitliche Bewer­tungs­maß­stab (EBM), der die Grundlage für die Abrechnung der einzelnen ärztlichen Leistungen ist, verharrt auf dem Stand der 1990er Jahre. Augenärzte erhalten seit jeher für Fotografien keinerlei Honorar. Dabei sollte es heute bei vielen Augen­erkrankungen Standard sein, Fotos anzufertigen. Und sie sind eine wichtige Grundlage für den Einsatz von Algorithmen: Ohne gute, nach stan­dar­di­sier­ten Vorgaben angefertigte Bilder fehlt die Grundlage für eine auto­ma­ti­sierte Auswertung.

Jeder Augenarzt und jede Augenärztin kennt solche Beispiele aus der Praxis: Ein Patient kommt mit einem Bin­de­haut­tu­mor in die Praxis. Das kann ein harmloser Nävus sein - eine gutartige Fehlbildung wie es auch ein Muttermal ist. Es kann aber auch ein bösartiger Tumor sein. Deshalb gilt es genau hinzuschauen und den Verlauf zu beobachten: Verändert er sich von einer Untersuchung zur nächsten? Dies lässt sich jedoch ohne eine Fotografie nicht dokumentieren. Ein anderes Beispiel ist das Netz­hauts­cree­ning bei Menschen mit Diabetes: Sie sollen regelmäßig auge­n­ärzt­lich untersucht werden, um bei Schäden an der Netzhaut rechtzeitig reagieren zu können. Auch hier ist es unerlässlich, bei jeder Untersuchung Fotos der Netzhaut anzufertigen, um Ver­än­de­run­gen im Detail nach­voll­zie­hen zu können.

Die tägliche Praxis beweist seit Jahren, dass Fotografien ein wertvolles Mittel sind, um den Krank­heits­ver­lauf und den The­ra­pie­er­folg zu beurteilen. Gute Fotos erfordern jedoch eine gute technische Ausstattung und das entsprechende Know-how. Die stan­dar­di­sierte Befun­d­er­he­bung und die systematische Archivierung sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden, den Augenärzte bei Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen jedoch nicht abrechnen können. Der EBM sieht das Foto als diagnostische Leistung in der Augen­heil­kunde schlicht nicht vor.

Verzicht auf Bild­do­ku­men­ta­tion wird bestraft

Wenn Augenärzte nun aber auf die Foto­do­ku­men­ta­tion verzichten, machen sie sich unter Umständen strafbar. Im Jahr 2016 verurteilte das Ober­lan­des­ge­richt Hamm einen Augenarzt, der es unterlassen hatte, bei einem Glau­kom­pa­ti­en­ten schon vor Beginn der Behandlung im Jahr 1998 eine Bild­do­ku­men­ta­tion des Seh­ner­ven­kop­fes anzulegen (Urteil vom 15.01.2016, AZ 26 U 48/14). Augenärzte müssen also eine Bild­do­ku­men­ta­tion anlegen, können sie aber nicht gemäß EBM abrechnen. Bleibt die Option, diese den Patienten als Individuelle Gesund­heits­leis­tung in Rechnung zu stellen - doch wenn Augenärzte das tun, sehen sie sich einmal mehr von Krankenkassen, Ver­brau­cher­zen­tra­len und Gesund­heits­po­li­ti­kern als "Abzocker" verunglimpft.

Forderungen der Augenärzte

Deshalb fordert der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands, dass sowohl die Netz­haut­fo­to­gra­fie als auch die Vor­der­ab­schnitts­fo­to­gra­fie als diagnostische Leistungen in den EBM aufgenommen werden.

Eine ähnliche Situation wie bei der Fotografie findet sich bei der OCT: Erst nach langem Ringen konnte dieses Verfahren im vergangenen Oktober für zwei Indikationen in den EBM eingebracht werden. Nur bei den Diagnosen Alters­abhängige Makula­degeneration und diabetisches Makulaödem kann das Verfahren bei Kas­sen­pa­ti­en­ten abgerechnet werden. Dabei ist die OCT für Augenärzte längst ein unver­zicht­ba­res Werkzeug für die Ver­laufs­kon­trolle etlicher Augen­erkrankungen. Deshalb sollte - auch angesichts der ständigen Wei­ter­ent­wick­lung dieser Technologie - die Aufnahme weiterer Indikationen in den EBM diskutiert werden.

Nutzen ist unbestritten, aber der evi­denz­ba­sierte Nachweis fehlt

Bisher scheitert die Aufnahme dia­gno­s­ti­scher Leistungen in der Augen­heil­kunde in den EBM, weil die hohen Anforderungen des Gemeinsamen Bun­des­aus­schus­ses der Ärzte und Krankenkassen (GBA) nicht erfüllbar sind. Der GBA fordert einen evi­denz­ba­sierten Nachweis dafür, dass sich der Einsatz der Diagnostik positiv auf die Sehschärfe oder andere Sehparameter auswirkt. Diesen Nachweis in wis­sen­schaft­li­chen Studien zu erbringen, ist jedoch kaum machbar und wäre mit einem enormen Aufwand verbunden.

Die Wis­sen­schaft­ler selbst stellen den Nutzen der bildgebenden Verfahren ohnehin nicht in Frage. Ihre For­schungs­pro­jekte befassen sich vielmehr damit, wie Augenärzte, unterstützt durch Aus­wer­tungs­al­go­rith­men, Fotos, OCT-Aufnahmen und andere Bildbefunde, künftig so auswerten können, dass die Diagnose­stellung zum Wohle der Patienten weiter verbessert wird.

Es muss eine Selbst­ver­ständ­lich­keit sein, dass die Erhebung und die ärztliche Auswertung dieser Befunde, die die Grundlage für die neuen Technologien sind, auch bei Kas­sen­pa­ti­en­ten angemessen honoriert werden.

Fazit

Bildgebende Verfahren wie die digitale Fotografie sind in der Augen­heil­kunde wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie von Augen­krank­heiten. Das Honorarsystem der gesetzlichen Kran­ken­ver­si­che­rung sieht für die meisten dieser dia­gno­s­ti­schen Leistungen jedoch kein Honorar vor. In Zeiten, in denen Com­pu­ter­al­go­rith­men eingesetzt werden, um die Erkennung von Augen­krank­heiten immer weiter zu verbessern, gewinnen die Bildbefunde als die Basis dieser neuen Technologien enorm an Bedeutung. Umso mehr muss es ein angemessenes Honorar für den Aufwand geben, der mit der Erhebung und der Auswertung dieser Befunde verbunden ist.

Quelle: Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V., Pres­se­spre­cher Dr. Ludger Wollring

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