Sie sieht kein Lächeln – und lacht trotzdem

Manchmal geht es Schlag auf Schlag – so auch bei Ursel Gueffroy, die als Betroffene urplötzlich mit einer unheilbaren Seherkrankung dastand und sich allein­ge­las­sen fühlte. Bis ein Kaf­fee­kränz­chen ihr ein neues Lächeln verlieh.

„Ich sehe einen grünen Pullover, eine Brille und wie sich Ihre Hände bewegen“, erklärt Ursel Gueffroy. Die Mimik, die erkennt sie nicht. Immerhin: Das zwi­schen­zeit­li­che Nicken nimmt sie wahr. Gueffroy ist 83 Jahre alt. Oder besser gesagt: 83 Jahre jung. Denn sie wirkt belebt und positiv – trotz einer Erkrankung, die ihr den Alltag deutlich erschwert.

„Ich kam eigentlich nur zur Bril­len­kon­trolle“, erinnert sich Gueffroy. „Und plötzlich hatte ich eine trockene AMD.“ Diese ein­schnei­dende Diagnose ist mittlerweile über 20 Jahre her. 2002 erwähnte ihr Augenarzt die Erkrankung, ohne weiter darauf einzugehen. Doch Gueffroy kannte die alters­be­dingte Makula-Degeneration (AMD). Auch ihre Mutter litt an der chronischen Erkrankung, die ein scharfes Sehen immer mehr verhindert.

Durch ihre Mutter, die zu dem Zeitpunkt bereits verstorben war, wusste die nun ebenfalls Betroffene: „Wenn ich alt bin, werde ich fast blind sein.“ Dass sie aus ihrer Krankheit unheimlich viel Positivität schöpfen wird, das wusste sie damals noch nicht. Technische Hilfsmittel gab es kaum. Schwa­rz­ma­le­rei statt Optimismus stand an der Tagesordnung.

Reden als Rettung

Nun sitzt sie da, erkennt das Lächeln ihres Gegenübers nicht, doch strahlt selbst wie ein Honig­ku­chen­pferd. Weil sie schlicht stolz auf ihren Umgang mit der Krankheit ist. Anfangs noch ein­ge­schüch­tert und schockiert ob der Diagnose, kennt die einstige Ergo­the­ra­peu­tin ihre Erkrankung mittlerweile bis ins kleinste Detail, weiß, wie sie ihren Alltag gestalten muss, um Dinge besser zu erkennen und Altbewährtes weiter zu pflegen. Ihre treuen Begleiter: das iPhone und das iPad.

Gemeinsam mit ihrem Frauen-Stammtisch trifft Gueffroy sich einmal im Monat, um zu lernen, wie die Technik ihr hilft, Schilder zu lesen, Texte an ihre Liebsten zu schicken und das Klein­ge­druckte vielerlei Supermarkt-Artikel dank Barcode-Scanner zu durchforsten. Die Gruppe ist ein Ort, an dem ich Ängste äußern kann.

Doch das Kaf­fee­kränz­chen seherkrankter Frauen, initiiert durch die münsterische „Akademie des Sehens“, ist für die ältere Dame, die seit geraumer Zeit in einem Mehr­ge­ne­ra­ti­o­nen­heim haust, so viel mehr. Es ist die Anlaufstelle bei Problemen. „Die Gruppe ist ein Ort, an dem ich Ängste äußern und anderen bei ihren Ängsten beistehen kann“, berichtet die Betroffene.

Bloßes Reden mit Gleich­ge­sinn­ten helfe ihr enorm, mit der Krankheit „klarzukommen“ und darüber hinaus Neues über die Krankheit zu erfahren sowie wichtige Alltagstipps zu erlernen. Der Stammtisch sei „ein Geben und Nehmen“.

Kopf in den Sand? Nicht mit Ursel Gueffroy!

Gueffroy strahlt, während sie über den Stammtisch und über ihr Leben erzählt. „Ich habe aber auch schwierige Schick­sals­schläge erlebt“, schluchzt sie. „Warum ich mich nie unterkriegen ließ, das weiß ich nicht. Ich bin einfach so"

Egal, was kommt, man müsse kämpfen, sagt sie. Gen Ende liefert sie gar eine all­ge­mein­gül­tige Weisheit, die sich alle – und bei weitem nicht nur AMD-Betroffene – auf die Fahne schreiben sollten: „Jeder hat Situationen, in denen man kämpfen muss. Und Lebens­si­tua­ti­o­nen, mit denen man nicht gerechnet hat“, so Gueffroy. „Es gibt Menschen, die schmeißen alles hin und sagen: Ich habe immer Pech, ich schaffe das nicht. Und es gibt die anderen. Auch bei mir ist es umgekehrt. Ich denke: Was könnte ich machen, um es zu überwinden? Was für eine Lösung gibt es?“ Jeder hat Situationen, in denen man kämpfen muss. Und Lebens­si­tua­ti­o­nen, mit denen man nicht gerechnet hat.

Eine klare Stütze in Gueffroys Leben ist der Stammtisch. Einfaches Reden hilft. Einfacher Austausch hilft. Wichtig sei, dass Betroffene mit ihrer AMD-Diagnose nicht allein­ge­las­sen werden. Dafür sorge neben der „Akademie des Sehens“ auch das „AMD-Netz“. Die geplanten Videos, für die der gemein­nüt­zige Verein mit der WN-Spendenaktion Gelder sammelt, dienen der bildlich leicht ver­ständ­li­chen Aufklärung auf individuell zuge­schnit­tene Stadien der Erkrankung. Denn: „Eine gute Aufklärung nach der Diagnose ist ein erster wichtiger Meilenstein“, findet Gueffroy.

Übrigens: Auch im Podcast des „AMD-Netz“ spricht Ursel Gueffroy über die Entwicklung ihrer Erkrankung, ihre Hilfsmittel, die Auswirkungen auf ihren Alltag und ihren Rat an andere Betroffene.

Der Bericht findet sich hier

Quelle: Westfälische Nachrichten

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