Ausgezeichnete Therapie bringt Licht ins Dunkel
Botond Roska und José-Alain Sahel werden für die Entwicklung einer Behandlung erblicher Erblindung mit dem International Prize for Translational Neuroscience geehrt
Blinde Menschen könnten eines Tages wieder sehen. Die Forschung ist diesem Ziel, das wie ein biblisches Wunder klingt, in den letzten Jahren einen großen Schritt nähergekommen. Die Gertrud Reemtsma Stiftung zeichnet in diesem Jahr zwei Wissenschaftler mit dem Translational Neuroscience Preis aus, die die Grundlagen dafür gelegt haben. Botond Roska vom Institut für molekulare und klinische Ophthalmologie Basel hat Zellen in der Netzhaut des Auges genetisch so verändert, dass sie die Funktion defekter Sinneszellen übernehmen. José-Alain Sahel von der Sorbonne Universität in Paris hat eine Gentherapie für Betroffene und eine lichtverstärkende Brille als Sehprothese entwickelt. Ein Patient, der vor Jahrzehnten erblindet war, konnte dank der Behandlung wieder Lichtreize aus seiner Umwelt wahrnehmen. Der Translational Neuroscience Preis wird am 22. Juni 2023 in Hamburg verliehen.
Erbliche oder altersbedingte Defekte der Netzhaut sind häufig Ursache für den Verlust des Augenlichts. Die sogenannte Retinitis Pigmentosa zählt mit weltweit über zwei Millionen Betroffenen zu den häufigsten erblichen Netzhauterkrankungen. Verschiedene Mutationen lassen dabei die Sinneszellen der Retina degenerieren. Abgesehen von einer zugelassenen Therapie für das Frühstadium der Erkrankung, kann bereits erblindeten Menschen das Augenlicht bisher nicht wieder zurückgegeben werden.
Eine winzige Grünalge hat der Forschung neue Wege hin zu einer Therapie dieser Erkrankung gewiesen. Chlamydomonas reinhardtii besteht nur aus einer einzigen Zelle und besitzt auch keine Augen. Doch dank lichtempfindlicher Proteine kann sich die Alge trotzdem Richtung Licht bewegen. Diese als Channelrhodopsin bezeichneten Proteine ähneln dabei den lichtempfindlichen Molekülen in menschlichen Sinneszellen im Auge. Forschende haben das Gen für ein Channelrhodopsin in andere Zellen eingeschleust und diese so lichtempfindlich gemacht. Diese als Optogenetik bezeichnete Technik hat in den Neurowissenschaften viele neue Erkenntnisse ermöglicht. Auch zur Behandlung von Taubheit wird ihr Einsatz erforscht.
Wiederhergestellte Sehfähigkeit
Botond Roska hat die Funktionen der verschiedenen Zelltypen in der Retina und die Auswirkungen von Gendefekten in diesen Zellen untersucht. Er entwickelte ein Verfahren, mit dem er Gene mithilfe harmloser Viren gezielt in bestimmte Zelltypen einschleusen kann. Auf diese Weise ist es Roska gelungen, die Sehfähigkeit von blinden Mäusen und menschlicher Netzhaut wiederherzustellen.
Um das gentechnische Verfahren am Menschen zu erproben, entwickelte José-Alain Sahel eine Gentherapie für Menschen. Sahel ist Augenarzt und erforscht neue medikamentöse Therapien, Netzhautprothesen und Gentherapien, um erbliche oder altersbedingte Defekte der Netzhaut zu behandeln.
Für eine klinische Studie behandelten die Forscher einen Patienten mit Retinitis Pigmentosa, der vor über einem Jahrzehnt erblindet war. Das Team brachte ein Gen für das lichtempfindliche Molekül Chrimson R in die Netzhaut des Patienten ein. Dadurch wurden sogenannte retinale Ganglienzellen lichtempfindlich gemacht. Diese Nervenzellen können natürlicherweise keine optischen Signale empfangen. Es dauerte fast fünf Monate, bis die Zellen das Protein dauerhaft produzierten und der Patient erste Seheindrücke wahrnehmen konnte.
Chrimson R reagiert nur auf den gelb-orangenen Anteil des Lichtspektrums. Dieser Teil des Spektrums reicht jedoch nicht aus, die Umgebung bei normalen Lichtverhältnissen ausreichend wahrzunehmen. Das Team um José-Alain Sahel entwickelte deshalb eine lichtverstärkende Brille, die die Umgebung mit einer Kamera aufnimmt, die Signale in gelb-orangenes Licht umwandelt und sie in Echtzeit auf die Netzhaut des Patienten überträgt. Für das Sehen mit der Spezialbrille war ein intensives Training nötig. Nach sieben Monaten konnte der Patient Objekte vor seinen Augen lokalisieren, berühren und zählen. Inzwischen haben die Wissenschaftler diese Befunde bei weiteren Patienten bestätigt. Messungen der Hirnaktivität ergaben, dass dabei das Sehzentrum im Gehirn aktiviert wurde.
Die Ergebnisse zeigen, dass mit der optogenetischen Therapie die Sehkraft von Betroffenen mit Retinitis Pigmentosa zumindest teilweise wiederhergestellt werden kann. Bevor die Behandlung in Kliniken eingesetzt werden kann, muss sie jedoch erst in weiteren Studien geprüft und optimiert werden.
Die Preisträger
Botond Roska studierte zunächst Cello und Mathematik in Budapest. Anschließend promovierte er in Medizin an der Semmelweis Medical School, graduierte in Neurobiologie an der University of California, Berkeley, und studierte Genetik und Virologie als Harvard Society Fellow an der Harvard University und der Harvard Medical School. Von 2005 bis 2018 leitete er eine Forschungsgruppe am Friedrich-Miescher-Institut in Basel. Seit 2010 ist er Professor an der Medizinischen Fakultät und seit 2019 Professor an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel. Seit 2018 ist er einer der Gründungsdirektoren des Instituts für molekulare und klinische Ophthalmologie Basel. Dort leitet er eine Forschungsgruppe, die sich auf das Verständnis des Sehens und seiner Krankheiten sowie auf die Entwicklung von Gentherapien zur Wiederherstellung des Sehvermögens konzentriert.
José-Alain Sahel studierte Medizin in Paris und wurde 1984 Ophthalmologe am Louis Pasteur-Universitätskrankenhaus in Straßburg. Nach verschiedenen Forschungstätigkeiten an der Klinik für Augen- und Ohrenerkrankungen und der Universität Harvard wurde er 1988 Professor für Augenheilkunde an der Universität Louis Pasteur in Straßburg und 2002 an der Sorbonne Universität in Paris sowie am University College London. 2008 gründete er das Vision Institute in Paris und leitete es bis 2021. Seit 2023 ist er emeritierter Professor an der Sorbonne Universität. Seit 2016 ist er Stiftungsprofessor und Vorsitzender des Vision Institute am University of Pittsburgh Medical Center.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft