Durchbruch bei der Erforschung alters­be­ding­ter Makula­degeneration

Wis­sen­schaft­ler um Prof. Simon Clark vom For­schungs­in­sti­tut für Augen­heil­kunde am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Tübingen haben in einer aktuellen For­schungs­a­r­beit den Einfluss des Proteins Faktor-H (FH) und der mit dem Kom­ple­ment­fak­tor H (CFH) assoziierten Gene (CFHR1-5) für die Prä­dis­po­si­tion der alters­be­ding­ten Makula­degeneration (AMD) untersucht. Ziel der Arbeit ist es, entsprechende Ansatzpunkte für eine phar­ma­ko­lo­gi­sche Intervention zu finden. Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Forscher im Journal „Nature Com­mu­ni­ca­ti­ons“ publiziert.

Seit über 20 Jahren ist bekannt, dass Ent­zün­dungs­pro­zesse bei der Entstehung der AMD eine zentrale Rolle spielen. Die Tatsache, dass ein Gendefekt im Protein Faktor H (FH) ein Risikofaktor für die AMD ist, rückte das sogenannte Kom­ple­ment­sys­tem, dem im Immunsystem eine Schlüs­sel­funk­tion bei der Auslösung von Entzündungen zukommt, in das Interesse der Forschung. Die Annahme, dass AMD durch eine Störung der Kom­ple­ment­re­gu­lie­rung im Auge verursacht wird, hat die Entwicklung vieler Medikamente zur Kom­ple­ment­hem­mung bei der feuchten AMD ausgelöst.

Doch um effektive Medikamente zur Behandlung der AMD entwickeln zu können, muss zunächst verstanden werden, was in der Fein-Regulation des Kom­ple­ment­sys­tems falsch läuft.

Die Wis­sen­schaft­ler aus Tübingen, Manchester, Cardiff, London und Nijmegen gingen daher der Frage nach, ob auch andere Regulatoren des Kom­ple­ment­sys­tems beim Kon­troll­ver­lust im Immunsystem eine Rolle spielen.

FHR4 fördert offenbar Kon­troll­ver­lust des Kom­ple­ment­sys­tems

Ein starker genetischer Risikofaktor für die AMD ist das Protein Faktor H (FH), das Teil dieser komplexen Kaskade des Immunsystems ist. Eines dieser Proteine, das Faktor-H-assoziierte Eiweiß 4 (FHR4), wurde im Blut von AMD-Patienten in erhöhtem Maße gefunden. Im Vergleich zwischen gesunden Personen und Menschen, die unter AMD leiden, war das Ergebnis statistisch hoch­si­gni­fi­kant. Insgesamt wurden 484 Patienten- und 522 Kon­troll­pro­ben aus zwei unabhängigen Unter­su­chun­gen analysiert.

Auch Unter­su­chun­gen von Augen, die post mortem zu For­schungs­zwe­cken gespendet worden waren, wiesen das FHR4-Protein in den von AMD betroffenen Teilen des Auges, in denen die Kom­ple­men­tak­ti­vie­rung stattfindet, nach. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass das FHR4-Protein zum Kon­troll­ver­lust des Kom­ple­ment­sys­tems bei AMD beiträgt.

Ursache oder Folge?

Das Forscherteam untersuchte nun auf genetischer Ebene, ob die gesteigerten FHR4-Mengen eine Ursache oder eine Fol­ge­er­schei­nung von AMD sind. Alle Gene, die für FH, FHR4 und andere sogenannte FH-Familien-Mitglieder kodieren, findet man zusammen in einem engen räumlichen Cluster auf Chromosom 1. Erstaun­li­cher­weise offenbarte eine genomweite Asso­zia­ti­ons­s­tu­die, dass Varianten in diesem Gencluster die größte Auswirkung auf FHR4-Mengen im Blut haben und diese Varianten sich mit denjenigen stark überlappen, die das gut etablierte genetische Risiko, eine AMD zu entwickeln, auf Chromosom 1 bestimmen.

Kritischer Regulator

Diese auf Ebene der Proteine und Gene gelieferten Ergebnisse sind nach Einschätzung der Forscher überzeugende Beweise, dass FHR4 ein kritischer Regulator von Komplement im Auge ist. Genetisch höhere FHR4-Mengen im Blut führen zu mehr FHR4 im Auge, welches seinerseits das Risiko einer unkon­trol­lier­ten Kom­ple­men­tak­ti­vie­rung erhöht und damit die Krankheit verstärkt.

“Diese Studie ändert grundlegend unser Verständnis davon, wie die Kom­ple­men­tak­ti­vie­rung die AMD vorantreibt”, fasst Clark zusammen. “Bisher wurde nur auf die Rolle der FHR-Proteine geschlossen. Die neuen Unter­su­chun­gen zeigen aber einen direkten Zusammenhang. Damit kommen wir der Behandlung dieser schweren Auge­n­er­kran­kung einen greifbaren Schritt näher”.

Neben einem besseren Verständnis, was die AMD verursacht, liefert diese Studie eine Möglichkeit, das Risiko auf Erkrankung an AMD durch die Messung der Mengen von FHR4 im Blut zu pro­gnos­ti­zie­ren. Damit eröffnet sich eine neue Möglichkeit der Behandlung: indem man die FHR4-Mengen im Blut reduziert, um die Kom­ple­ment­kon­trolle im Auge wie­der­her­zu­stel­len.

Quelle: biemann-medizin.de

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