Ernährung seh­be­hin­der­ter Menschen: Welche Probleme bereiten Einkauf und Zubereitung?

Eine Studie der Hochschule Neu­bran­den­burg hat sich erstmals in Deutschland dem Einkaufs-, Koch- und Ernäh­rungs­ver­hal­ten seh­be­hin­der­ter Menschen wis­sen­schaft­lich genähert.

In Deutschland leben nach Angaben der Hochschule Neu­bran­den­burg schät­zungs­weise 1,2 Millionen blinde und sehbehinderte Menschen. Alle stehen vor ähnlichen Her­aus­for­de­run­gen im Alltag – bei­spiels­weise im Supermarkt: Ob kleine Preisschilder, Akti­ons­ar­ti­kel im Laufweg oder häufig neu sortierte Ware: Für Menschen mit Seh­be­hin­de­rung ist der Einkauf alleine nur schwer zu bewältigen. Sie benötigen Unter­stüt­zung, um die gewünschten Produkte zu finden, Preise zu lesen, offene Waren zu verpacken oder das Min­dest­halt­bar­keits­da­tum zu erkennen. Eine Studie der Hochschule Neu­bran­den­burg hat sich nun erstmals in Deutschland dem Einkaufs-, Koch- und Ernäh­rungs­ver­hal­ten seh­be­hin­der­ter Menschen wis­sen­schaft­lich genähert.

Empfehlungen für den Einzelhandel

Im Ergebnis konnten Empfehlungen für den Einzelhandel formuliert werden, die es Seh­be­hin­der­ten leichter machen, ihren Alltag selbst zu stemmen. „Zudem dient die Studie als Aufruf an uns Diä­t­as­sis­ten­tin­nen, Menschen mit Seh­be­hin­de­rung zu berück­sich­ti­gen und unsere Bera­tungs­kon­zepte auf sie anzupassen, um die Ernäh­rungs­qua­li­tät zu verbessern“, betont Prof. Luzia Valentini (Professur für Klinische Diätetik und Ernährung, Direktorin des In-Instituts für evi­denz­ba­sierte Diätetik NIED).

Die Idee für die Studie entwickelten Diätetik-Studierende im Modul „Wis­sen­schaft­li­ches Arbeiten“. „Der Blinden- und Seh­be­hin­der­tenverein Neu­bran­den­burg hatte eine Vor­trags­an­frage an den Studiengang Diätetik gestellt und war interessiert an weiteren gemeinsamen Projekten “, erzählt Valentini. So griff sie das Thema gemeinsam mit ihren Studierenden auf. Die Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­rin­nen entwarfen die Befragung, führten sie durch und werteten sie aus. Die Ergebnisse zusam­men­ge­fasst:

Drei Viertel der befragten Seh­be­hin­der­ten benötigen die Unter­stüt­zung von Markt­an­ge­stell­ten oder anderen Einkaufenden, insbesondere bei der Suche der Ware, dem Lesen der Preise und dem Lebens­mit­tel­trans­port.

Mittlerweile nutzen etwa 40 Prozent der Befragten elektrische Leselupen, 27 Prozent greifen auf spezielle Apps für Smartphones zurück, die Texte vorlesen können.

Mehr als 40 Prozent wünschen sich einen verbesserten Per­so­nal­ser­vice und eine Begleitung in der Ein­kaufs­s­tätte. Sie äußern zudem den Wunsch nach mehr Barriere­freiheit, etwa keine Hindernisse durch Produkte, die mitten im Gang stehen.

Tendenz: Menschen mit Seh­be­hin­de­rung ernähren sich ungesünder

Im Rahmen der Stude zeigte sich weiterhin, dass Menschen mit Seh­be­hin­de­rung schlechter ernährt sind, als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. Die Ernäh­rungs­qua­li­tät der Befragten liegt mehrheitlich (69%) im „ver­bes­se­rungs­wür­di­gen“ Bereich. Ein Drittel gilt als „schlecht ernährt“. „Das könnte mit den Schwie­rig­kei­ten beim Einkauf und der Verarbeitung von Lebensmitteln zusam­men­hän­gen“, erklärt Valentini und ergänzt: „Wenn Menschen mit Seh­be­hin­de­rung Speisen zubereiten, ist insbesondere das Verarbeiten und Abschmecken der Speisen für sie schwierig, ebenso wie das Bestimmen des Gar­zeit­punk­tes oder das Abwiegen“. Mehr als die Hälfte verwendet trotzdem „immer“ Lebensmittel, die noch gewaschen, geschnitten und gegart werden müssen. Zwölf Prozent allerdings greifen täglich auf ver­zehr­fer­tige Lebensmittel wie Fer­tig­ge­richte zurück, verglichen mit nur 0,2 Prozent in der deutschen Gesamt­be­völ­ke­rung.

Valentini schlägt vor, dass Diä­t­as­sis­ten­ten Sehbehinderte durch spezielle Schu­lungs­ein­hei­ten in Lehrküchen unterstützen, um den Umgang beim Kochen zu trainieren. Die Studierenden empfehlen , die Ernäh­rungs­qua­li­tät der Seh­be­hin­der­ten durch Ein­kaufs­coa­chings zu verbessern und ihnen das breite Spektrum des Sortiments näher zu erläutern. Es liege aber auch im Auf­ga­ben­be­reich der Diä­tas­sis­tenz, die Anliegen von Seh­be­hin­der­ten gegenüber der Lebens­mit­tel­wis­sen­schaft und Ernäh­rungs­po­li­tik zu vertreten, meint Valentini. So könnten sie an Lösungen arbeiten, um die Erreich­bar­keit gesund­heits­för­dern­der Ernährung für Sehbehinderte zu erhöhen.

Die Ergebnisse der Seh­be­hin­der­tenstudie sollen wei­ter­ver­folgt werden. Inzwischen sind laut Mitteilung der Hochschule Neu­bran­den­burg zwei Kurzartikel in deutschen Fach­zeit­schrif­ten erschienen und im September präsentiert ein Studien-Teammitglied die Resultate auf einem europäischen Fachkongress. Auch die Resultate der zwei anderen Stu­dien­grup­pen sind für Poster-Prä­sen­ta­ti­o­nen auf nationalen und inter­na­ti­o­na­len Fach­kon­gres­sen akzeptiert und ein Kurzbeitrag wird in einer deutschen Fach­zeit­schrift ver­öf­fent­licht.

Quelle: biermann-medizin.de

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