„Spezialbrille“ bietet keinen Nutzen bei Makula­degeneration

Auge­n­ärzt­li­che Fachverbände: Täuschung der Betroffenen

Bei Maku­laer­kran­kun­gen sind weder Prismen zur Bild­ver­la­ge­rung noch eine Wel­len­front­op­ti­mie­rung sinnvoll – und auch nicht deren Kombination. Das machen auge­n­ärzt­li­che Fachverbände in einer Stellungnahme zur „BEST MACULA Spezialbrille“ klar, die ein Optiker aus Dortmund als Hilfsmittel für Menschen mit Netz­haut­degenera­tion anbietet.

Bei einer Makula­degeneration werden Anteile der zentralen Netzhaut zerstört. Das führt zu einem Verlust der zentralen Sehschärfe: Genau dort, wo man hinblickt, ist ein blinder Fleck. Das Gehirn sucht dann als neuen Fixierpunkt auf der Netzhaut die Netz­haut­stelle mit dem dann schärfsten, aber verminderten Sehen. Mit viel Mühe können die Betroffenen aber die „exzentrische Fixation“ erlernen: Beim Lesen von Texten bei­spiels­weise lernen sie, gezielt „daneben zu sehen“, um noch intakte Netz­haut­be­rei­che neben dem geschädigten Areal zu nutzen.

Ein Optiker aus Dortmund hat die „BEST MACULA Spezialbrille“ patentieren lassen, die mit Hilfe von Prismen das Bild auf den noch intakten Teil der Netzhaut jeden Auges verlagern soll. Auf diese Weise werde die exzentrische Fixation unterstützt und die Kör­per­hal­tung der Betroffenen werde positiv beeinflusst. In der Patentschrift bezieht sich der Optiker auf eine kanadische Publikation (1), in die die Daten von 33 untersuchten Personen einflossen. Dabei handelt es sich um eine retrospektive Analyse, eine Kon­troll­gruppe wurde nicht untersucht.

Falsches Heil­ver­spre­chen

„Es ist davon auszugehen, dass die in der Patentschrift beschriebene Brille nicht besser zur Reha­bi­li­ta­tion bei Makula­degeneration geeignet ist als kon­ven­ti­o­nelle Brillen.“ Zu diesem Schluss kommen der Berufsverband der Augenärzte (BVA), die Deutsche Oph­thal­mo­lo­gi­sche Gesellschaft (DOG), die Bielschowsky Gesellschaft (BG) und die Reti­no­lo­gi­sche Gesellschaft (RG) in ihrer Stellungnahme (2). Die Fachverbände werten die entsprechende Darstellung daher als Täuschung. Ein solches falsches Heil­ver­spre­chen birgt zudem die Gefahr, dass eine sinnvolle Anpassung ver­grö­ßern­der Sehhilfen, sinnvolle Trai­nings­maß­nah­men oder gar eine notwendige medi­ka­men­töse Behandlung zur Besserung der Sehschärfe unterbleiben.

Komplexes Zusammenspiel von Auge und Hirn

Das Bild, das über die Hornhaut und Linse ins Auge auf die Netzhaut projiziert wird, wird über die Fasern des Sehnervs und der Sehstrahlung auf die Hirnrinde übertragen. Dabei entsprechen Orte auf der Netzhaut Orten in der Sehrinde. Diese Projektion entspricht einem Koor­di­na­ten­sys­tem. Ändert sich die Blickrichtung, dann wird das Koor­di­na­ten­sys­tem „mitgenommen“.

Wie Prismen wirken

Prismen ändern den Winkel, mit dem Lichtstrahlen ins Auge fallen. Dadurch wird zwar die Abbildung des Raumes verschoben, aber das in der Hirnrinde den Netzhaut-Orten zugeordnete Koor­di­na­ten­sys­tem wird dadurch nicht verändert. Die Augen führen vielmehr automatisch eine „Ein­stell­be­we­gung“ aus, die die Wirkung des Prismas kompensiert. Deshalb ist das Tragen von Prismen aus patho­phy­sio­lo­gi­scher Sicht bei einer Makula­degeneration sinnlos. Eine randomisierte englische Studie (3) mit 225 Teilnehmern zeigte dann auch in drei Behand­lungs­grup­pen, die eine Kon­troll­gruppe umfassten, keinerlei Wir­kungs­un­ter­schiede, ob nun Prismen eingesetzt wurden oder nicht.

Sinnvolles Training anbieten

Auch bei der exzentrischen Fixation werden die in der Hirnrinde fixierten Koordinaten nicht neu bewertet. Deshalb ist der Lernprozess bei Makula­degeneration leider sehr mühsam. Es muss trainiert werden, bewusst daneben zu sehen. Es kann auch sein, dass der Bereich, in dem die Netz­haut­zel­len zerstört wurden, im Laufe der Krankheit größer wird, so dass der Ort der best­mög­li­chen Fixation sich ändert. Den Betroffenen kann geholfen werden, wenn ihnen sinnvolle Reha­bi­li­ta­tions- und Trai­nings­maß­nah­men angeboten werden. Man sollte ihnen nicht versprechen, durch eine Prismenbrille ließe sich auf einfache Art und Weise ein besseres Sehen ermöglichen.

Wellenfront-optimierte Gläser – für Patienten mit Makula­degeneration nicht besser als die üblichen Gläser

Ein anderer Aspekt, bei dem der Anbieter mit irre­füh­ren­den Ver­spre­chun­gen arbeitet, sind „Wellenfront-optimierte Gläser“. Theoretisch sollten solche Gläser kleine irreguläre Abbil­dungs­feh­ler der Augen kompensieren und so zu höherer Sehschärfe führen. Hierbei geht es aber um Sehschärfen zwischen ca. 0,8 - 1,0 und besser. Durch die Netz­haut­schäden bei einer Makula­degeneration ist jedoch die Sehschärfe so stark verringert, dass eine Besserung durch die Korrektur kleinster optischer Abbil­dungs­feh­ler gar nicht bemerkt werden kann. Solche Gläser haben also für Patienten mit Makula­degeneration im Vergleich zu üblichen Gläsern keinen zusätzlichen Nutzen.

Quellen:
(1) Markowitz Samuel N., Jack E. Teplitsky, Maryam Taheri-Shirazi Restitution of potential visual acuity in low vision patients with the use of yoke prisms. Optom. 2021 Jan 18:S1888-4296(20)30129-1. Doi: 10.1016/j.optom.2020.10.004.
(2) augeninfo.de - Stellungnahme Spezialbrille bestmacula (pdf)
(3) Smith HJ, Dickinson CM, Cacho I, Reeves BC, Harper RA. A randomized controlled trial to determine the effectiveness of prism spectacles for patients with age-related macular degeneration. Archives of Ophthalmology 2005;123(8):1042-50

Quelle: Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V., Pres­se­spre­cher Dr. Ludger Wollring

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