KVWL-Sprechstunde: Was passiert, wenn das Auge seine Funktion verliert?
„Die Makuladegeneration mit ihren zwei unterschiedlichen Formen ist die häufigste Augenerkrankung in Industrieländern. Jeder Dritte über 70 ist betroffen und möchte verstehen, was im Auge passiert, welche Ursachen und Risikofaktoren eine Rolle spielen können und was diagnostisch und therapeutisch möglich ist“. So begrüßte Dr. Gudula Berger, Patientenberatung von Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) und KVWL in Münster, die Referenten und die Interessierten zur KVWL-Sprechstunde, die erneut als Hybridveranstaltung stattfand.
Das einzige Organ, in das man hineinschauen kann, ohne es aufzumachen
Dr. Thomas Aretz, niedergelassener Augenarzt aus Dortmund, schilderte eindrucksvoll die Anatomie des Auges und machte deutlich, dass die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) die häufigste Erblindungsursache ist und auch zukünftig große Teile der Bevölkerung betreffen wird.
Aretz: „Es gibt viele Ursachen für diese sehr belastende Erkrankung, aber nicht alle sind bekannt. Frauen sind häufiger betroffen, es gibt genetische Faktoren, aber auch Übergewicht, Bluthochdruck, Ernährung, Rauchen und Stress spielen eine große Rolle bei der Entstehung.“ Dies gelte sowohl für die trockene, schleichende Form (ca. 80 Prozent), als auch für die feuchte, schneller fortschreitende Verlaufsform (ca. 20 Prozent) der AMD.
„Zur Stabilisierung dieser aggressiveren Form – oder sogar zu einer Überführung in eine trockene AMD – hilft seit vielen Jahren die Injektion von Medikamenten, die bestimmte Botenstoffe blockieren. Dies ist allerdings ein zeitaufwendiger Prozess, den die Betroffenen aber auf sich nehmen“, erklärte Aretz und ergänzt: „Ein sehr guter Selbsttest, um frühzeitig zu diagnostizieren, ist das Amsler-Gitter. Diesen Test können auch Optiker und Hausärzte empfehlen. Nutzen Sie ihn ein- bis zweimal pro Monat, um bei Veränderungen wie beispielsweise verzerrtem Sehen diese vom Augenarzt abklären zu lassen. Beispielsweise durch eine Darstellung der Netzhautgefäße und ultraschallähnliche Scans, um den weiteren Verlauf der Erkrankung beurteilen zu können.“
Spinat, Paprika und Fisch
„Nahrungsergänzungsmittel helfen eher dem Hersteller, aber mit einer ausgewogenen, vernünftigen Ernährung und regelmäßigem Verzehr von Spinat, Paprika und Fisch können Sie viel für sich tun“, erklärt der Dortmunder Augenarzt und weist darauf hin, wie wichtig es ist, ab dem fünfzigsten Lebensjahr auf jeden Fall einmal im Jahr den Augenarzt aufzusuchen, um mögliche andere Augenerkrankungen auszuschließen, auch wenn ggf. Eigenleistungen anfallen.
„Entscheiden Sie besonnen über mögliche Therapien immer gemeinsam mit Ihrem Arzt, denn die Makuladegeneration verläuft unterschiedlich; es gibt Unterformen. Je eher die Therapie beginnt, desto besser ist die Prognose.“
Positives bei der Erkrankung
Dr. Heinzpeter Schmitt, Augenarzt im Ruhestand und Mitglied im Blinden- und Sehbehindertenverein Dortmund, berichtete sowohl aus fachlicher als auch aus Betroffenensicht über die Entstehung seiner trockenen AMD in den 80er-Jahren. Bei ihm verschlechterte sich die Sehkraft von Jahr zu Jahr, doch Schmitt hat gelernt, damit zu leben. „Wenn es einen Vorteil bei dieser Erkrankung gibt, dann ist es der, dass um die Makula herum noch gesunde Netzhaut vorhanden, das Sehvermögen nicht vollkommen verschwunden und eine Orientierung möglich ist.“ So beschrieb Dr. Schmitt seinen aktuellen Zustand.
Das beste Hilfsmittel sei für ihn aber immer noch die Begleitung seiner Frau. Der Langstock, der individuell von Sehbehinderten und Blinden genutzt werden kann, gilt auch, was vielen nicht bekannt ist, als Verkehrsmittel und sollte so auch wahrgenommen werden.
Fluch und Segen
Manuela Kürpick, ebenfalls Mitglied im Blinden- und Sehbehindertenverein Dortmund, im Laufe der Jahre durch unterschiedliche Augenerkrankungen vollblind geworden, aber nicht an AMD erkrankt, schilderte eindrucksvoll ihren Weg. Sie konnte sehr gut den Interessierten vermitteln, dass es möglich ist, durch ein Mobilitätstraining, vergrößernde Sehhilfen, den Langstock und durch die Unterstützung eines Blindenhundes weiterhin selbstständig zu bleiben.
Selbsthilfe hilft
„Den Weg in die Selbsthilfe habe ich schon sehr früh gefunden“, berichtete Kürpick, „da ich die Notwendigkeit sah, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen, gemeinsame Unternehmungen zu machen, aber auch um politische Arbeit zu leisten.“ Blindengeld sei ebenso eine Errungenschaft des Blinden- und Sehbehindertenvereins als auch eine Umsetzung der Barrierefreiheit im Fußballmuseum in Dortmund. Ein großer Wunsch sei aber ein Reha-Angebot, das es bislang noch nicht gibt. „Es ist nicht leicht, mit so einer Behinderung umzugehen, man muss so viel lernen“, kritisierte Kürpick.
Schulungen und Beratungen von Angehörigen sind ein Teil ihrer Arbeit im Projekt „Blickpunkt Auge“. Kürpick: „Betroffene können durchaus ihren Angehörigen zusetzen, wenn sie sich auf ihrer Erkrankung ausruhen. Andererseits gibt es sehr dominante Angehörige, die den Betroffenen vieles abnehmen, was selber noch leistbar wäre. Insofern ist dies ein schmaler Grat und es ist wichtig für alle Beteiligten, die Waage zu halten.“
Forschung
Zum Abschluss gab Dr. Thomas Aretz den Interessierten Folgendes mit auf den Weg: „Es wird sehr viel auf dem Gebiet der trockenen AMD geforscht, Wirkstoffe und auch Medikamententräger werden getestet. Vor 20 Jahren hätte wohl niemand damit rechnen können, dass wir heute so gute Therapiemöglichkeiten haben.“
Der Vortrag und die Fragerunde können hier angeschaut werden:
https://www.kvwl.de/pressemitteilungen/detail/nachricht-kvwl-sprechstunde-was-passiert-wenn-das-auge-seine-funktion-verliert
Quelle: Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe