Ziele verfehlt – Gesetz kon­tra­pro­duk­tiv

Augenärzte befürchten: Das TSVG bringt längere Wartezeiten und schlechtere Versorgung für die Patienten

Düsseldorf 11.02.2019 Es soll ein „Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung“ werden, plant Jens Spahn, Bun­des­mi­nis­ter für Gesundheit. Der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands befürchtet, dass das Gesetz beide Ziele verfehlen wird. Im Gegenteil: Es wird zu längeren Wartezeiten führen und die Versorgung der Patienten ver­schlech­tern. Prof. Dr. Bernd Bertram, der erste Vorsitzende des BVA erläutert die wesentlichen Kritikpunkte der Augenärzte.

„Fach­a­rzt­grup­pen der grund­ver­sor­gen­den und wohnortnahen Versorgung (z.B. konservativ tätige Augenärzte, Frauenärzte, HNO-Ärzte) müssen mindestens fünf Stunden pro Woche als offene Sprechstunde anbieten (ohne vorherige Ter­min­ver­ein­ba­rung)“, sieht das Terminservice und Ver­sor­gungs­ge­setz (TSVG) vor. „Diese Regelung wird die Wartezeiten nicht verkürzen, sondern sie insbesondere für die vielen chronisch Kranken, die in Auge­n­a­rzt­pra­xen betreut werden, verlängern“, erwartet Prof. Bertram.

Wirt­schaft­li­cher Einsatz der Ressourcen erfordert Planung

Seit vielen Jahren hat sich in augen­ärzt­lichen Praxen eine Mischform aus Termin- und offener Sprechstunde bewährt: Patienten mit einem planbaren Untersuchungs- und Behand­lungs­be­darf erhalten Termine, bei denen dann die für sie erfor­der­li­chen Mitarbeiter und Geräte zur Verfügung stehen. Notfälle mit akuten Augen­erkrankungen und plötzlich auftretenden Problemen werden auch ohne Termin in dieser Sprechstunde zusätzlich untersucht. Speziell geschulte Mitarbeiter können dafür im Vorgespräch mit den Patienten rasch abklären, wie dringend ein Fall ist und tragen dafür Sorge, dass akute Fälle ohne große Verzögerung untersucht werden.

Für die Untersuchung ihrer Patienten setzen Augenärzte ganz verschiedene, oft hoch­s­pe­zi­a­li­sierte Geräte ein. Nicht selten sind an den Unter­su­chun­gen auch besonders qualifizierte Mitarbeiter beteiligt. Der wirt­schaft­li­che Einsatz dieser Ressourcen erfordert eine sorgfältige Planung. Viele Praxen bieten deswegen Spe­zi­al­sprech­stun­den an, in denen diese Unter­su­chun­gen möglich sind. Auch für die Untersuchung von Kindern gibt es oft besondere Sprechstunden mit dafür besonders qua­li­fi­zier­ten Mitarbeitern.

„Wenn Auge­n­a­rzt­pra­xen nun fünf Stunden pro Woche eine offene Sprechstunde anbieten müssen, stellt das einen erheblichen Eingriff in die Pra­xis­or­ga­ni­sa­tion dar“, kritisiert Prof. Dr. Bernd Bertram. Die überwiegende Zahl der Augenärzte bietet ohnehin schon weit mehr als die künftig vor­ge­schrie­be­nen 25 Stunden pro Woche an, in denen die Praxis Sprechstunden abhält. Eine Ausweitung der Sprech­stun­den­zei­ten ist daher nicht möglich. Die neue, offene Sprechstunde geht dann zu Lasten der Ter­min­sprech­stunde. In einer offenen Sprechstunde lässt sich aber nicht garantieren, dass für jeden Patienten genau der spe­zi­a­li­sierte Ansprech­part­ner oder das in seinem Fall benötigte Unter­su­chungs­ge­rät verfügbar ist. Oft muss deshalb doch wieder ein Termin verabredet werden und der Patient ist vergebens gekommen. Für die planbaren Termine wiederum stehen pro Woche nun fünf Stunden weniger zur Verfügung, so dass sich die Wartezeiten auf einen Termin für die Patienten verlängern.

Besonders unsinnig ist die finanzielle Förderung der Betreuung von sogenannten Neupatienten, das heißt Patienten, die seit mindestens vier Jahren nicht mehr in dieser Auge­n­a­rzt­pra­xis waren. Dies sind meist Patienten mit einfachen Augen­ent­zün­dun­gen, mit Fremdkörpern im Auge oder Patienten, die zum Ausschluss von Augen­krank­heiten kommen. Warum es dafür bevorzugt Termine und eine spezielle finanzielle Förderung geben soll zu Lasten der Menschen mit schweren Augen­krank­heiten, die eine aufwendigere Versorgung benötigen, ist nicht nach­voll­zieh­bar. Nach Meinung des BVA sollte es genau umgekehrt sein: Die aufwendigere Versorgung schwerer Augen­krank­heiten sollte besser bezahlt werden.

BVA lehnt die Spaltung des Fachs ab

Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen die Absicht des TSVG, dass Augenärzte in rein konservativ tätige Augenärzte und operativ tätige Augenärzte aufgeteilt werden sollen. „Der BVA lehnt diese Unterteilung strikt ab“, betont Prof. Bertram. Mehr als 90 Prozent der Augenärzte, die auch operieren, verbringen einen Großteil ihrer Arbeitszeit in der nicht-operativen Grund­ver­sor­gung der Patienten. Und die Mehrzahl der nicht-operierenden Augenärzte arbeitet mit einem oder mehreren Operateuren in Gemein­schaft­s­pra­xen oder medizinischen Ver­sor­gungs­zen­tren zusammen. Laut TSVG darf künftig der „Operateur“ frei wählen, wie er die Sprechstunde gestaltet, der „Nicht-Operateur“ muss eine offene Sprechstunde anbieten.

Schließlich kritisiert Bertram den Plan, Termine vermehrt ohne direkte Abklärung mit der Praxis über die Ter­min­ser­vice­stel­len, über Krankenkassen oder eine App zu vergeben. Wichtige Informationen für den Patienten und die Praxis können dann nicht ausgetauscht werden. Der Patient weiß dann vielleicht nicht, dass er zu bestimmten Unter­su­chun­gen nicht selbst mit dem Auto anreisen darf, weil die Pupille medikamentös weitgestellt werden muss und er für einige Stunden nicht scharf sehen kann. Kommt er nun doch mit dem Auto, dann kann die Untersuchung nicht ausgeführt werden und es muss ein neuer Termin vereinbart werden. Und nur im direkten Gespräch mit dem geschulten Personal der Praxis lässt sich klären, ob eine Untersuchung noch am selben Tag dringend notwendig ist oder ob ein Termin in einer oder zwei Wochen ausreicht.

„Das TSVG wird weder eine bessere Versorgung möglich machen, noch wird es erreichen, dass Patienten rascher einen Termin bekommen“, erwartet Prof. Bertram. Damit die augen­me­di­zi­ni­sche Versorgung angesichts eines steigenden Bedarfs flä­chen­de­ckend verbessert werden kann, gilt es, die ver­trag­s­ärzt­li­che Tätigkeit von büro­kra­ti­schem Ballast zu befreien und die Arbeit in der Auge­n­a­rzt­pra­xis für Ärztinnen und Ärzte attraktiv zu machen.

Quelle: Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V., Pres­se­spre­cher Dr. Ludger Wollring

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